Vorbilder in Amerika

Meine Vorbilder in Amerika

Erfolg, Moral und Besessenheit

Dr. William Sen / LebenUSA

von Dr. William Sen (aka Bill von LebenUSA)

Als junger Mensch landet man mitunter an den merkwürdigsten Orten. Mein erster Job war in der EDV-Abteilung eines kleinen Unternehmens – “Elektronische Datenverarbeitung”, wie man damals sagte. Und dieses Unternehmen war … gelinde gesagt: seltsam. Der Geschäftsführer fuhr Porsche, trug Maßanzüge und beeindruckte mich sofort. Doch was ich damals nicht sah: Er war ein Betrüger. Er zog Kunden, Partner und letztlich sogar seine eigenen Mitarbeiter über den Tisch.

Mein Bodybuilder-Kollege

Einer meiner Kollegen, etwas älter als ich, war Hobby-Bodybuilder. In seiner Schublade lag ein ganzer Haufen Pillen. Alle drei Stunden piepte seine Casio-Armbanduhr. Dann nahm er 10 Pillen, schluckte sie herunter, ging zum Kühlschrank und aß Brokkoli, Reis und Hähnchenfleisch aus der Tupperdose. Nicht genießend – eher so, als würde er Kohle in einen Ofen schaufeln.
Ich war neugierig, wie man so muskulös wird. Er erklärte mir alles: Fettverbrenner, Aminosäuren, Proteine, Omega-3, Kreatin, Vitamine, Magnesium, Zink, Probiotika … das blieb hängen. Ein schräger Typ – aber auf faszinierende Weise.

 

Distanz durch Desinteresse

Wenn jemand begeistert von seinem Hobby erzählt und man antwortet nur: “Ach, das ist nichts für mich”, entsteht sofort Distanz – manchmal sogar Antipathie.

 

Zwischenmenschliches in den USA

In den USA fiel mir auf: Viele Menschen sind dort sehr geschickt im Zwischenmenschlichen. Sie wollen Freunde machen, keine Feinde. Vertrauen aufbauen. Deshalb hört man dort oft ein enthusiastisches “AWESOME”, wenn man etwas erzählt.

 

Der Chef und seine Methoden

Alle Mitarbeiter mochten den Chef – obwohl er sie am Ende ausgebeutet hat. Löhne kamen zu spät, Bonuszahlungen wurden versprochen, aber nie ausgezahlt. Wochenendarbeit gab es ohne Extra-Vergütung. Trotzdem hielten viele zu ihm und glaubten seine Ausreden.
Typische Sätze von ihm: “Sorry, wir ziehen gerade unsere Konten um”, oder: “Das Geld ist raus – kommt bald!” Und natürlich der Klassiker: “Wir warten auf eine Riesenzahlung – dann kriegst du deinen Lohn mit Bonus.” Kam natürlich nie.

Er schaffte es trotzdem, dass die Leute ihm vertrauten. Seine manipulative Art machte ihn auf seltsame Weise sympathisch.

 

Ein neuer Job und ein Wiedersehen

Zwei Monate später hatte ich einen neuen Schülerjob und verließ das Unternehmen. Jahre später traf ich meinen Bodybuilder-Kollegen im Box-Gym wieder. Er hatte mehrere Firmenversuche hinter sich, fuhr einen alten Polo und arbeitete als Koch in einer Imbissbude.

Beim Training sagte er plötzlich: “Ich hab eine mega Geschäftsidee – du und ich, Millionäre. Willst du investieren?” Ich antwortete: “Ich denk drüber nach.” Innerlich hoffte ich, das Thema würde nie wieder aufkommen.

 

Was Erfolg wirklich bedeutet

Ich denke oft daran, wie tief ich gefallen wäre, hätte ich solchen Ideen geglaubt. Heute weiß ich: Erfolg hat wenig mit Moral zu tun. Erfolg ist komplex. Es geht um den Willen zu lernen, sich weiterzuentwickeln, zu verändern. Und um den Mut, die Komfortzone zu verlassen.
Es geht auch um Ehrgeiz – darum, es immer wieder zu versuchen. Unermüdlich. Bis es irgendwann klappt. Und es geht um etwas, das ich nur so nennen kann: Besessenheit.

 

Besessenheit als Schlüssel

Ob Architekt, Schauspieler, Handwerker oder Sportler – wer wirklich außergewöhnlich gut werden will, muss sich voll und ganz der Sache verschreiben. Über Jahre. Jahrzehnte.
Wir waren acht Schüler im Raum. Darunter echte Topspieler, sogar ein Weltmeister. Ich selbst belegte 2024 bei den BCA World Championships den 17. Platz. In diesem Kreis fühlte ich mich wie der schlechteste Spieler.

 

Der Stoß von Earl Strickland

Earl Strickland zeigte uns einen Stoß, der so präzise und kraftvoll war, dass alle nur staunten. Und dann machte er ihn noch einmal. Und noch einmal. Immer gleich. Unglaublich.
Andere versuchten es – keiner kam auch nur annähernd an ihn heran. Earl sagte ruhig: “Ich habe den Stoß jeden Tag geübt – von morgens bis abends. Acht Wochen lang.”

Ich konnte es kaum glauben. Jeden Tag 12 bis 16 Stunden lang denselben Stoß üben? Ich halte kaum 20 Minuten durch. Aber genau da wurde mir klar: Darum ist er Weltmeister. Darum ist er eine Legende. Er ist nicht nur ehrgeizig – er ist besessen.

 

Wer meine Vorbilder wirklich sind

Earl ist nicht mein Vorbild. Ich kann nicht so sein wie er. Meine Vorbilder sind lokale Spieler in meiner Liga – Menschen, deren Namen niemand kennt. Warum? Weil sie erreichbar sind.
Einer von ihnen, nennen wir ihn Sven, war besessen vom Erfolgs-Mindset. Er las Bücher über Coaching, Motivation, Self-Leadership. Und er schwärmte von Elon Musk – wollte genauso werden. Am Ende scheiterte er im Studium und jobbt heute wechselnd.

Bewundern? Ja. Inspirieren lassen? Unbedingt. Aber versuchen, wie jemand anderes zu sein? Das funktioniert nicht.

 

Vorbilder aus dem eigenen Umfeld

Ich habe mir immer Vorbilder aus meinem Umfeld gesucht. Mitschüler mit Nebenjob. Leute mit einer eigenen Wohnung. Später solche mit einem Auto, dann mit abgeschlossener Ausbildung. Immer reale Menschen, mit denen ich sprechen konnte.

Elon Musk? Unerreichbar. Ich weiß nicht, wie er wirklich ist. Solche Menschen können für mich keine Vorbilder sein.

 

Besessen vom Ziel

Die Einreisegenehmigung, das Aufenthaltsvisum, der ganze bürokratische Wahnsinn – ich hätte das alles nie durchgezogen, ohne eine gewisse Besessenheit.

Und jetzt, wo ich hier bin, beobachte ich die vielen erfolgreichen Amerikaner – nicht die mit Milliarden, sondern die, die sich selbst etwas aufgebaut haben. Ohne Erbe, ohne Kontakte. Erreichbare Menschen. Und genau diese Menschen – das sind heute meine Vorbilder. Geschäftspartner. Freunde. Wegbegleiter.

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Richard Hebstreit
29 Tage her

Mein Vorbild war mal ein Deutsch-Amerikaner!

Also zuallererst – deine Präsentation hier, deine Geschichten, die sind erstaunlich authentisch und, na ja, einfach klasse. Ich bin neunundsiebzig Jahre alt – ein alter Knacker also. Mit Amerika hatte ich eigentlich nie viel am Hut. Mein Problem ist: Ich spreche kein Wort Englisch, und aufgrund von ADHS krieg ich auch keine Vokabeln in meinen Schädel. Aber im Zusammenhang mit den Vereinigten Staaten habe ich doch verschiedenste verrückte Sachen erlebt.

Anfang der Neunzigerjahre lernte ich über Compuserve und Usenet einen Amerikaner kennen – besser gesagt, einen Deutschamerikaner: Gunter Taubert aus Cliffside Park. Der war damals so alt wie ich heute, also Ende siebzig. Er wurde so etwas wie ein Unternehmensberater für mich. Er wurde mein Vorbild! Viele Deiner Eindrücke über die USA, hat er mir fast deckungsgleich berichtet. Damals gab es das sogenannte Call-Back-Telefonverfahren, und er half mir, mit einer Telefongesellschaft in Phoenix, Arizona, geschäftlich Fuß zu fassen.

Die Firma hatte sogar eine Dependance hier in Berlin im TopTegel. Ich baute ihnen eine Homepage – und verdiente damit ein Schweinegeld. Aber wie so oft: Erst läuft’s wunderbar, dann wird man aufs Kreuz gelegt. Ich unterschrieb den Vertrag an der falschen Stelle – Englisch konnte ich ja kaum. Es ging um Kundenbeschaffung, und irgendwo versteckt im Kleingedruckten war geregelt, dass meine gewonnenen Bestandskunden bei Firmenauflösung mit verschwinden würden. Als die Firma dann dicht machte, war alles weg. Die hieß übrigens „One World Communication“, saß in Phoenix. Geschäftszweig war damals CallBack-Telefonvolumen

Jetzt mal abgesehen von dem ganzen Businessquatsch – mit Gunter hab ich auch ein paar herrlich schräge Episoden erlebt. Ich hab sogar alte Texte über ihn im Netz. Der Typ war ein Original. Zum Beispiel erzählte er mir, wie er sich über Kontakte in Beerdigungsunternehmen optimierte Jobs in New York verschaffte.

Irgendwann gründeten wir sogar zu dritt – Gunter, ein Chinese und ich – eine deutsch-chinesisch-amerikanische Firma mit dem Ziel, Patente nach China zu vermitteln. Völlig verrückt! Wir haben der New Yorker Polizei Hufeisenüberzüge aus Plastik verkauft, damit die Polizisten bei Regen nicht auf die Fresse fliegen. Bezahlt wurde nicht. Das Geschäft platzte wie eine herrliche Seifenblase.

Amerika hat mich eben doch nachhaltig geprägt. Ich wollte dann irgendwann selbst wenigstens als Tourist hin. Bin mit einer Freundin nach San Francisco geflogen. Englisch? Fehlanzeige. Also kein Auto gemietet – wir sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen. Damals eine Katastrophe in San Francisco, wo jeder in manchen Gegenden nur mit dem Auto fährt.

Einmal, in einem Viertel mit interessanter Architektur, kam tatsächlich ein Sheriff auf einem Gaul angeritten und wollte unsere Pässe sehen. Er war aber sehr freundlich, als er merkte, dass wir Touristen waren.

Der größte Kulturschock? Das Hotel. Ich hatte mir etwas Nostalgisches in Haight-Ashbury ausgesucht – mit deutschem Manager, wegen der Sprache. Am Ende war es aber eine Pension, geführt für Prostituierte. Am ersten Tag wurde einer abgestochen. Ich fand’s trotzdem urig – die Damen waren stolz, dass ein durchgeknallter deutscher Tourist samt Freundin bei ihnen wohnte.

Meine Freundin war weniger begeistert. Also haben wir uns ein Hotel in Downtown gesucht und San Francisco dann ganz klassisch als Touristen erlebt.

Story über Guenter:
rhebs.de/storys/guenter.htm

Mach weiter so!

Richard Hebstreit

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