Glücklich in Amerika

Warum ich in den USA so glücklich bin

Ein Perspektivwechsel über Heimat, Entfernung und Glück

Dr. William Sen / LebenUSA

von Dr. William Sen (aka Bill von LebenUSA)

Der Titel dieses Beitrags mag zunächst irritieren: Ich lebe glücklich in den USA – aber nicht, weil es die USA sind. Nicht Amerika hat mich glücklich gemacht. Was mich wirklich verändert hat, war etwas ganz anderes: das bewusste Heraustreten aus dem Gewohnten.

Ich komme aus Köln. Ich liebe diese Stadt, ich bin dort aufgewachsen, habe dort Freunde fürs Leben, Erinnerungen, Geschichten. Köln ist Heimat – aber irgendwann konnte ich sie nicht mehr ertragen.

Und zwar nicht, weil Köln sich verändert hätte. Sondern weil ich mich verändert habe. Oder vielmehr: weil ich mich nicht verändern konnte, solange ich dort war. Ich kannte jede Straße, jede Ecke. Du könntest mir die Augen verbinden, mich irgendwo in der Stadt absetzen – und ich würde dir sagen können, wo ich bin. Ich bräuchte keine Karte, kein GPS, kein Hinweis.

Das war nicht mehr Geborgenheit. Es war Beklemmung. Wenn jede Ecke sich anfühlt wie dein eigenes Zimmer, dann wird selbst die offenste Stadt zur Zelle.

 

Routine als Käfig

Ich wollte nicht irgendwann im Spiegel auf einen Mann schauen, der sein ganzes Leben an einem einzigen Ort verbracht hat. Der nichts anderes gesehen, nichts anderes erlebt hat. Für mich war das keine Idylle – sondern eine Horrorvorstellung.

Versteht mich nicht falsch: Ich liebe Köln. Und es gibt eine Sache, von der ich nie genug bekommen konnte. Seit ich sechs Jahre alt bin – bis heute. Und das ist der Kölner Dom. Jedes Mal, wenn ich davor stehe, fühlt es sich an wie das erste Mal. Er hat mich jedes Mal aufs Neue verzaubert.

 

Cap’n Crunch, Köln und eine Cereal-Pfeife

Der Kölner Dom ist für mich ein Symbol für Erhabenheit. Umso absurder war es, als ich mit dem legendären Hacker “Cap’n Crunch” in Köln war – und er sich kein bisschen für ihn interessiert hat.

Ich hatte mit einem Kollegen ein Buch geschrieben, “Hackertales“, darin auch die Geschichte von Cap’n Crunch – einem der ersten Hacker der Welt. Sein bürgerlicher Name: John T. Draper. Er entdeckte, dass man mit einer Pfeife aus einer Frühstückscereal-Packung (“Cap’n Crunch”) das amerikanische Telefonsystem manipulieren konnte – ein Stück Plastik, das genau den 2600-Hz-Ton erzeugte, der damals zur Steuerung der Telefonnetze genutzt wurde. Damit war er unter den ersten zehn Hackern der Geschichte und landete auf der Fahndungsliste des FBI.

Ich habe ihn ausfindig gemacht – in Kalifornien. Ich habe ihn interviewt, seine Geschichte geschrieben. Eine dieser Pfeifen steht übrigens heute im Computermuseum in Paderborn. Die Originalpfeife von John steht bei mir zu Hause.

Der Verlag hatte ihn dann zur Lesung nach Köln eingeladen. Wir holten ihn vom Flughafen ab – mitten im tiefen Winter. Cap’n Crunch kam in T-Shirt. Ich musste ihm meinen Pullover leihen. Doch das Kuriose war: Er wollte den Kölner Dom nicht sehen. Ich glaube, er wusste nicht mal wirklich, was das ist. Das Einzige, was ihn mit Köln zu verbinden schien, war der Chaos Computer Club Cologne – mit denen wollte er sich treffen. Kultur? Architektur? Geschichte? Ich hatte den Eindruck, dass ihm das komplett egal war.

Damals hat mich das irritiert. Heute weiß ich: Viele Amerikaner sind kulturell nicht interessiert. Ich meine nicht alle – viele US-Touristen, die freiwillig nach Europa kommen, sind durchaus interessiert. Aber Cap’n Crunch kam, weil er eingeladen wurde. Und so wirkte er wie jemand, der einfach aus seinem Alltag gerissen wurde – und trotzdem in seiner eigenen Welt blieb.

 

Ich wollte nicht Köln verlassen – ich wollte *irgendwo anders* leben

Mir ging es also nie darum, Köln zu fliehen. Ich wollte aus der Routine ausbrechen. Ich hätte mich genauso gut in einer anderen Stadt in Deutschland oder Europa eingesperrt fühlen können. Wenn man von Kindheit an am gleichen Ort bleibt, kommt irgendwann der Moment, wo man entweder bleibt und verwächst – oder geht, um sich weiterzuentwickeln. Ich habe Letzteres gewählt.

Heute lebe ich in San Diego. Aber der Punkt ist: Ich bin nicht wegen San Diego glücklich. Nicht wegen Kalifornien. Nicht mal wegen der USA. Ich bin glücklich, weil ich endlich woanders bin.

 

Was wirklich zählt: Der Kontrast zum Bekannten

Der Kulturschock war gewollt. Ich wollte nicht einfach ein bisschen anders – ich wollte radikal anders. London? Barcelona? Istanbul? Alles spannend, aber immer noch europäisch. Ich wollte weit weg vom Vertrauten. Ein anderes Klima, ein anderes Lebensgefühl, ein kultureller Bruch.

Länder wie China, Japan, Indien, Südkorea oder Ghana – das wäre genauso gegangen. Hauptsache anders. Die USA passten für mich gut, weil ich die Sprache konnte. In Japan oder China wäre zusätzlich zur kulturellen auch noch die sprachliche Barriere hinzugekommen – das war mir in dem Moment zu viel.

 

Warum es dann doch die USA wurden

Es gab noch einen weiteren Faktor: die berufliche Perspektive. Ich bin Softwareentwickler, habe mein Leben lang programmiert. Kalifornien – mit all seinen Tech-Unternehmen – schien mir wie ein Ort, an dem ich kaum scheitern konnte. Ich dachte mir: Selbst wenn ich mich bei 50.000 Firmen bewerbe – eine wird mich schon nehmen. Das war kein Größenwahn, sondern nüchternes Kalkül.

Die USA werben damit, dass hier für jeden ein Stück vom Kuchen da ist. Nicht jeder bekommt ihn. Aber die Möglichkeit allein reicht oft schon, um loszugehen.

 

Die USA sind keine Utopie – aber sie funktionieren für mich

Natürlich ist nicht alles toll hier. Viele werfen mir vor, ich würde Amerika zu positiv sehen. Dass es eine Ellenbogengesellschaft ist, kapitalistisch, individualistisch, hart. Ja – das stimmt. Ich bestreite das nicht. Ich spreche es in meinen Videos oft genug an.

Aber das ist nur eine Seite. Die andere ist: Amerikaner sind extrem freundlich. Gastfreundlich. Offen. Und zwar nicht nur oberflächlich. Wer länger hier lebt, merkt: Diese Freundlichkeit ist Teil des gesellschaftlichen Codes. Sie ist keine Garantie auf Tiefe – aber sie ist eine Brücke.

Viele, die solche Kritik äußern, haben nie hier gelebt. Sie kennen Amerika aus Social Media, aus Nachrichten, aus Klischees. Aber das ist so, als würde man ein Land durch das Fenster eines Zuges beurteilen, den man nie verlassen hat.

 

Widersprüche sind kein Problem – sie sind die Realität

Ich erinnere mich an einen Kommentar unter einem meiner Videos: “So sympathisch du bist – aber deine Sicht auf die USA ist mir zu rosa. Ich sehe da nur die Ellenbogen, den Egoismus.” Und ja – beides stimmt. Amerika ist rücksichtslos und freundlich. Kapitalistisch und hilfsbereit. Hart und herzlich.

Beides kann gleichzeitig wahr sein. Der Unterschied liegt im Blickwinkel.

Ein Lehrer sagte mal zu mir: “Junge, das Leben ist überall scheiße. Du musst die Rosinen aus der Scheiße rauspicken.”

 

Glück ist keine Eigenschaft eines Ortes – sondern ein persönlicher Akt

Man wird nicht glücklich in einem Land. Man wird glücklich mitten im Land – trotz seiner Widersprüche. Es geht nicht darum, ein Paradies zu finden. Sondern sich selbst inmitten der Imperfektion zu positionieren. Glück ist ein aktiver Vorgang: Du deutest, entscheidest, gestaltest. Du findest dein Glück nicht trotz der Welt – sondern innerhalb ihrer Widersprüche.

Für mich war die gelebte Erfahrung entscheidend. Ich wollte nicht mehr nur lesen oder hören – ich wollte wissen, wie es ist, woanders zu leben. Und dieses Wissen hat mich verändert.

 

Glück ist persönlich. Und es ist nie stabil.

Ich habe Freunde in Köln, die dort geblieben sind. Sie werden vielleicht ihr ganzes Leben dort verbringen – und am Ende sagen: “Ich war glücklich.” Und das ist genauso richtig.

Aber eins ist auch klar: Glück ist kein fester Zustand. Es kann sich ändern. Die Welt verändert sich. Du veränderst dich. Und dann musst du neu suchen.  Neue Antworten. Neue Rosinen.

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